Meine Windhunde ... und ich

Tolle Erlebnisse bei Hunderforscher Trumler

120 Gesamtschüler besuchten ihn in seiner "Haustierbiologischen Station Wolfswinkel"

Lüdenscheider Nachrichten vom 29./30. Oktober 1988, 2. Lokalseite

"Petrus" meinte es nicht gut, deshalb konnte die Landschaft des Westerwaldes sich leider nicht von ihrer besten Seite Seite zeigen. Es regnete. Voller Begeisterung stürmten jedoch die 6-Klässler der Adolf-Reichwein-Gesamtschule aus dem Bus und liefen, angefeuert durch laut zu hörendes Hundegebell, den schmalen Pfad zum Hundegehege hinauf. Erwartungsvoll standen nun die Schüler und die Lehrer am Tor der "Haustierbiologischen Station Wolfswinkel", in der der Kynologe Eberhard Trumler seit 1979 das Verhalten von Hunden erforscht.

Dort, am Eingang, bot sich schon eine erste Gelegenheit, das Gehege der windhundartigen Hunde zu besichtigen. Als die Welpen mit der Mutterhündin aus der Hütte kamen, waren Äußerungen wie "Oh, wie süß ..." oder "... wie niedlich" zu hören.

Beim Betrachten der Welpen waren den Schülern die Sätze des Biologie-Buches für das 5. und 6. Schuljahr zwar in Erinnerung, "der Hund ist immer noch als ein Raubtier anzusehen. Er hetzt seine Beute und tötet sie mit seinem kräftigen Gebiß. Seine Sinne sind besonders gut ausgebildet. Alle diese Eigenschaften hat er von seinem Vorfahr, dem Wolf ...", jedoch nur schwer verständlich. Die "niedlichen" Welpen sahen gar nicht aus wie ein Raubtier. Ebenso ist das in der Schule theoretisch Erlernte schwer vorstellbar, wenn es heißt, daß auch der kleinste Hund der Welt, der Chihuahua, vom Wolf abstamme. Alle Hunderassen sind aus einem gewissen Nutzdenken der Menschen entstanden, und zwar durch Auslese und Kreuzung der erwünschten Erbmerkmale.

Bald ein Leben lang hat der Kynologe Eberhard Trumler das Verhalten von Hunden erforscht und seine Ergebnisse in Büchern dokumentiert. Wer anders als er könnte dann das theoretische Wissen der Schüler "Abstammung und Verhalten des Hundes" besser veranschaulichen, und zwar am Lebendobjekt "Hund" selbst?

Ja, es war schon eine Sensation, daß sich der Forscher an drei Tagen Zeit nahm, den Schülern und Biologie-Lehrern der Adolf-Reichwein-Gesamtschule aus Lüdenscheid einen Vortrag über einen Teil seiner bisherigen Forschungsarbeit zu halten. An Ort und Stelle waren Verhalten der Alpha-Hündin und des Alpha-Rüden, die Pflege der Welpen, ebenso das Verhalten des Hunderudels in freier Wildbahn, zu beobachten.

Gespannt und interessiert hörten die Kinder zu: denn nun hatten sich auch die Hunde an die Besucher schon gewöhnt und hörten mit ihrem Gebell auf. Bekanntlich haben Kinder gerade zu Hunden ein besonders liebevolles Verhältnis. Aus diesem Grund stellten die Schüler dem Forscher derart viele Fragen, spontane und auch vorbereitete, daß er Mühe hatte, sie alle zufriedenstellend zu beantworten. Besonderes Interesse bekundeten die Schüler an den Zuchtversuchen des Forschers: denn sie sahen in einem großen, mit Elektrodraht eingezäunten Gehege, mittelgroße, meistens graufarbene Windhundmischlinge, die die Verwandtschaft mit dem Vorfahr "Wolf" keinesfalls verleugnen konnten. Nun war die Behauptung des Biologie-Buches, daß der Hund vom Wolf abstamme, schon eher vorstellbar.

Dann erklärte der Forscher Trumler, daß die bestaunten Hunde aus Kreuzungen mit Schlittenhunden, mit Wolf, mit Dingo und Schakal entstanden wären. Mit den Mitteln der vergleichenden Biologie habe er das Verhalten der echten Windhunde, der Windhundmischlinge und der Rassehunde beobachtet. Der Forscher erklärte zusätzlich, daß bei der Zucht von Rassehunden zufällige Erbsprünge als Rassemerkmale erkannt und durch fortwährendes Auswahlverfahren gefestigt werden. Er aber habe festgestellt, daß durch diese vom Menschen gesteuerte Auslese, oft noch durch Inzucht intensiviert, die rezessiven Erbmerkmale verstärkt werden und die dominanten, vom Wolf ererbten, immer mehr verkümmerten. Eine Degeneration des dominanten Erbgutes tritt demzufolge ein. - Äußerlich ist diese Degeneration an Windhunden zu beobachten, und zwar durch die Erweichung des Ohrknorpels. Aus einem Stehohr bildet sich allmählich das Hängeohr. Das ist der Beweis, daß die Domestikation des Wolfes zum Hund höchstwahrscheinlich durch auftretende Verlustmutationen erfolgt ist, das heißt, durch die Verstärkung des rezessiven Erbmaterials. Bei dem beschriebenen Vorgang sind aber leider auch Instinktverluste bei Rassehunden möglich, und dann ist der Hund leider nicht mehr der Freund des Menschen.

Bei diesen Erklärungen fielen den Schülern die Zeitungsartikel ein, die von plötzlich angreifenden Hunden berichteten.

Abschließend schrieben sich die Biologie-Lehrer stellvertretend für die Schüler ins Gästebuch ein. Alle bedankten sich bei dem Forscher begeistert, daß er für die Schüler und Biologie-Lehrer der Adolf-Reichwein-Gesamtschule Zeit übrig hatte, ihnen seine Hunde in "Wolfswinkel" zu zeigen. Auch die Lehrer waren mit den Studienfahrten zufrieden, weil die Ergebnisse beweisen, daß im Biologie-Unterricht das veranschaulichte Lernen am Lebendobjekt immer dem theoretischen Lernen aus dem Buch vorzuziehen ist.

miek


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